Gesundheitsversorgung: Ungleichheit nimmt zu


Auch wenn in Belgien der Zugang zur Gesundheitsversorgung allgemein sehr gut ist, sind die Unterschiede zwischen den sozioökonomischen Gruppen beträchtlich. Die Situation der sozial Schwachen hat sich in den letzten Jahren sogar verschlechtert.


Studie des OSE

Das Europäische Sozialobservatorium (OSE) hat im Auftrag des Landesinstitutes für Kranken- und Invalidenversicherung (LIKIV) eine Studie durchgeführt. Diese ergab, dass im Jahr 2017 nur 2 % der erwachsenen Bevölkerung aus finanziellen Gründen ihre medizinische Pflege nicht in Anspruch nehmen konnten. Der Zugang zur medizinischen Versorgung in Belgien ist demnach relativ gut.

 

Allerdings verbirgt sich hinter dieser Zahl eine große Ungleichheit zwischen Arm und Reich: Es sind vor allem die Einkommensschwächsten, die ihren Bedarf an medizinischer Versorgung nicht decken können. Bei den 20 % der Bevölkerung mit dem niedrigsten Einkommen sind 6,7 % der Menschen betroffen, während dieser Prozentsatz bei Menschen mit höherem Einkommen beinahe bei Null liegt. Damit ist die Kluft in Belgien im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern sehr hoch.

 

Hinzu kommt, dass die Anzahl der einkommensschwachen Personen, die ihre medizinische Versorgung nicht zahlen können, gestiegen ist: von 4,1 % im Jahr 2011 auf 6,7 % im Jahr 2017. Häufig sind es diejenigen, die auch mit ihrer Mietzahlung oder mit Rechnungen für öffentliche Dienste im Rückstand sind: 22,8 % der Personen mit Zahlungsrückstand gegenüber 1 % bei denjenigen ohne Rückstand. Außerdem ist der Anteil der Personen in der Wallonie und Brüssel deutlich höher als in Flandern.

Hindernisse beim Zugang zur Gesundheitsversorgung

Fehlender Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung

Es gibt Personen, die mit der Krankenversicherung nicht in Ordnung sind. Oft handelt es sich dabei um Selbständige, welche die Beiträge an ihre Sozialversicherungskasse nicht zahlen können. Die aktuelle Corona-Pandemie trifft zudem viele Selbstständige hart und kann die Situation weiter verschlimmern.

 

Manche dieser Personen könnten trotzdem Anspruch auf Versicherungsschutz haben, ergreifen aber nicht die erforderlichen administrativen Maßnahmen (bspw. bei der Krankenkasse), sei es aufgrund mangelnder Information oder psychischer Probleme.

Vorstrecken der Gesundheitskosten

Die Honorarzahlung durch den Patienten, die typisch für das belgische System ist, stellt ein wesentliches Hindernis für den Zugang zur ambulanten Gesundheitsversorgung dar, insbesondere die Zahlung an Kinesitherapeuten, Zahnärzte und Fachärzte.

Krankenhauskosten: besorgniserregende finanzielle Belastung

Die Deckung der Kosten bei Krankenhausaufenthalt durch die gesetzliche Krankenversicherung ist in Belgien im Vergleich zu anderen EU-Ländern sehr niedrig. Nur in Griechenland, Zypern und Irland ist diese noch geringer. Die Kosten für Langzeitaufenthalte, vor allem in der Intensivpflege, können in Belgien hoch sein, selbst für Patienten die im Krankenhaus ein Mehrbettzimmer wählen und Anspruch auf den Vorzugstarif der Krankenkasse haben.

 

Die Folgen sind oft dramatisch: Einige Krankenhäuser und Ärzte weigern sich, Patienten, die im Zahlungsrückstand sind, zu behandeln oder ihre Pflege beschränkt sich auf das Notwendigste. Patienten verschieben lebensnotwendige Behandlungen, um sich nicht noch mehr zu verschulden.

 

Die aktuelle COVID-19-Pandemie kann im Falle eines längeren Krankenhausaufenthaltes demnach weitere negative Folgen für solche Patienten haben.

Schlussfolgerung

Der Zugang zu medizinischer Versorgung verschlechtert sich für einkommensschwache Menschen, nicht nur aufgrund von Zahlungsrückständen sondern auch weil der Patient das manchmal sehr hohe Honorar zahlen muss, bevor er die Erstattung der Krankenkasse erhält. 

 

Außerdem stellt die Komplexität des belgischen Gesundheitssystems – die auf allen Ebenen zu beobachten ist – ein erhebliches Hindernis für den Zugang zur Gesundheitsversorgung dar. Mit der fortschreitenden Digitalisierung der Sozial-, Verwaltungs- und Gesundheitsdienste nimmt diese Tendenz weiter zu.